Netzwerk Transformative Bildlichkeit: Zum Spannungsfeld von Bild und Gesellschaft
Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Netzwerk ist ein transdisziplinärer Zusammenschluss von Kolleg*innen aus der Soziologie, der (historischen) Erziehungswissenschaft sowie der Medien- und Kommunikationswissenschaft, das aus einem bereits bestehenden Arbeitszusammenhang entwickelt wurde. Wir beschäftigen uns mit (erkenntnis-)theoretischen, methodologischen und methodischen Aspekten qualitativer Bildforschung. Obschon es in den Sozialwissenschaften bereits seit einigen Jahren sowohl konzeptuelle Überlegungen als auch methodisch ausgearbeitete Ansätze zur Analyse des Spannungsfeldes von Bild und Gesellschaft gibt, erscheinen uns viele Fragen noch ungelöst und das Begriffsspektrum ausbaufähig.
Unser Netzwerk stellt daher eine transdisziplinäre Theorieerarbeitung in Aussicht. Hierzu beziehen wir Konzeptionen, Methodologien sowie Methoden aus den verschiedenen Disziplinen stets aufeinander. Der Zusammenhang von Bild und Gesellschaft wird nicht nur grundlagentheoretisch diskutiert, sondern in enger Anbindung an den empirischen Gegenstand, der einen besonderen wissenschaftlichen Zugang erfordert. Wir verstehen Bilder als Phänomene, die etwas abbilden und sich zugleich selbst auf einem spezifischen materiellen Grund zeigen. Darüber hinaus sind Bilder stets mit anderen Medien (etwa Sprache oder Musik) verknüpft und werden somit in einem medialen Kontext sichtbar. Unser Zugang zum Bild versucht daher insbesondere die Übergänge zwischen (Ab-)Bildern, Materialitäten und Medien in den Blick zu nehmen, ohne dabei die Bildlichkeit selbst in den Hintergrund zu rücken. Für eine transformative Theorie der Bildlichkeit erscheint uns die Intermedialität des Bildlichen als geeigneter Ausgangspunkt, um das Wechselverhältnis von Bild und Gesellschaft zu begreifen.
Gemeinsames Ziel ist es, die verschiedenen Relationen von Bildlichkeit und Gesellschaft aus transdisziplinärer Perspektive systematisch zu beschreiben. Unsere analytische Auseinandersetzung ist auf die genuine Wirkweise der bildlichen Wirklichkeitskonstitution und deren gesellschaftlich-kulturellen Effekte gerichtet. Das Netzwerk schließt damit an den bisherigen sozialwissenschaftlichen Diskurs über die Bedeutung von Bildern für die Gestaltung sozialer Wirklichkeiten an und reagiert zugleich auf die nach wie vor bestehende Forschungslücke zur gesellschaftlichen Wirkung von Bildern.
Unser Schwerpunkt ist, Bildlichkeit zu einem konstitutiven Element sozial- und kulturwissenschaftlicher Theoriebildung und Forschung zu machen, wobei wir uns auf bisherige materiale Analysen beziehen (siehe dazu auch die bisherigen Veröffentlichungen der Netzwerk- Mitglieder am Ende des Textes). Denn bei aller Unterschiedlichkeit der disziplinären Zugänge besteht der Tenor des Netzwerkes darin, Bilder in ihrer materiellen Ausdrucksform als Ausgangspunkt zu setzen, um die Potenziale sowie die spezifischen Wirkungsweisen des Bildlichen in ihren sozialen Kontexten nachzeichnen zu können. Es gilt, die enge Relation zwischen Bild und Gesellschaft in den Blick zu nehmen und dabei stets Bild-Präsenz und (sozial-historische) Bild- Kontexte in ihrem Spannungsverhältnis zu beschreiben.
Das Netzwerk Transformative Bildlichkeit fokussiert nach bisherigem Arbeitsstand auf drei theoretische Transformationen:
I. Synästhetik: Hier wird für eine Rückbesinnung auf die Affektivität von Bildern bei ihrer Wahrnehmung plädiert, die nicht im Sehsinn aufgeht, sondern weitere Sinne (z.B. Hören, Fühlen) einschließt.
II. Imaginäres: Dabei wird das Wechselverhältnis von Bild, Medialität und Potenzialität als wesentlicher Wirkungszusammenhang etabliert und untersucht.
III. Macht: Hier soll verstärkt die Wirkmacht der Bildlichkeit als konstitutiver Teil von Machtverhältnissen in sozialen Kontexten verstanden und analysiert werden.
Die theoretische Fokussierung erfolgt im empirisch gesättigten Kontext. Damit soll es gelingen, eine gegenstandsadäquate Theoriesprache zu entwickeln, die der Dimension der Bildlichkeit bzw. den Bildern möglichst nahe kommt. Der empirische Zugriff erfolgt:
a) themenzentriert, indem Bild-Praktiken im Kontext von Flucht und Migration untersucht werden und
b) medienzentriert, was die Analyse von Bild-Praktiken in sozialen Medien einschließt.
Weitere Informationen: Dr. Heike Kanter, Hochschule Magdeburg-Stendal, Mail: heikekanter@hs-magdeburg.de
Literatur
Claudia Dreke, Educators’ imaginations as triggered by photographs of pre-school children, in: Florian Esser/Meike S. Baader/Tanja Betz/Beatrice Hungerland (Hg.), Reconceptualising Agency and Childhood: New Perspectives in Childhood Studies, London 2016, S. 227-242.
Viktoria Flasche, Jugendliche Bricolagen – Eine Spurensuche zwischen digitalen und analogen Räumen, in: Manuela Pietraß/Johannes Fromme/Petra Grell/Theo Hug (Hg.), Jahrbuch Medienpädagogik 14 (2017): Der digitale Raum – Medienpädagogische Untersuchungen und Perspektiven, S. 35-54.
Heike Kanter, Ikonische Macht: zur sozialen Gestaltung von Pressefotografien, Opladen 2016.
Johannes Marent, Die Rückeroberung der Vergangenheit: Istanbuls visuelle Kommunikation zum Europäischen Kulturhauptstadtjahr 2010, in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie 41 (2016), H. 2, S. 165-185.
Ulrike Mietzner, Bild, in: Christoph Wulf/Jörg Zirfas (Hg.), Handbuch Pädagogische Anthropologie, Wiesbaden 2014, S. 465-474.
Axel Philipps, Das Problem des Bildsinns und der bildlichen Vielfalt in der Soziologie. Zur Bedeutung von materialen und medialen Gestaltungsmöglichkeiten für Verfahren rekonstruktiver Bildinterpretation, in: Soziale Welt 67(2016), H. 1, S. 5-22.
Ulrike Pilarczyk, Drinnen und Draußen. Ein bildanalytischer Rückblick auf Jugend in den 1980er Jahren, in: Kerstin te Heesen (Hg.), Pädagogische Reflexionen des Visuellen, Münster 2014, S. 115-130.
Patricia Prieto-Blanco, (Digital) Photography, Experience and Space in Transnational Families. A Case Study of Spanish-Irish Families living in Ireland, in: Edgar Gómez Cruz/Asko Lehmuskallio (Hg.), Digital Photography and Everyday Life: Empirical Studies on Material Visual Practices. Studies in European Communication Research and Education, New York 2016, S. 122-141.
Tobias Schlechtriemen, Bilder des Sozialen. Das Netzwerk in der soziologischen Theorie, Paderborn 2014
Sebastian Schönemann, Repräsentation der Abwesenheit. Visualisierungen des Holocaust im sozialen Gedächtnis am Beispiel des Fotos vom Torhaus Auschwitz-Birkenau, in: Zeitschrift für qualitative Forschung 17 (2016), S. 41-57.
Maria Schreiber, Audiences, Aesthetics and Affordances. Analysing Practices of Visual Communication on Social Media, in: Digital Culture & Society 3 (2017), S. 143-164.