Archiv-August 2022
Es ist Sommer … Wie auch im vergangenen Jahr nutzt die Redaktion den Monat August, um interessante, kluge und nachdenkenswerte Beiträge aus dem Visual History-Archiv in Erinnerung zu rufen. Für die Sommerlektüre haben wir eine Auswahl von acht Artikeln getroffen – zum Neulesen und Wiederentdecken!
(1) Seit Monaten wird in Deutschland über die Documenta 15 und antisemitische Bildmotive diskutiert. Die Historikerin Isabel Enzenbach hat am Beispiel einer Netanjahu/Netta-Karikatur in der „Süddeutschen Zeitung“ im Mai 2018 Kriterien für die Beurteilung einer karikaturistischen Darstellung als antisemitisch formuliert. In ihrem Text fragt sie nach dem strukturellen Zusammenhang zwischen der Karikatur als überzeichnendem Genre und Antisemitismus – und zeichnet Traditionen antisemitischer Bildpolemik nach.
Isabel Enzenbach, Antisemitismus in der zeitgenössischen Karikatur. Das Beispiel der Netanjahu/Netta-Zeichnung in der „Süddeutschen Zeitung“, in: Visual History, 17.12.2018
https://visual-history.de/2018/12/17/antisemitismus-in-der-zeitgenoessischen-karikatur/
(2) Im März 2022 ist der Berliner Pressefotograf Paul Glaser im Alter von 80 Jahren gestorben. Ab Mitte der 1970er Jahre fotografierte er u.a. Motive gesellschaftspolitischer Konflikte in Berlin wie Hausbesetzungen, Friedensdemonstrationen und Straßen-Krawalle. In den Jahren 1989 bis 1993 arbeitete Glaser in Ostdeutschland und fotografierte Entstehendes und Verfallendes. Unser ZZF-Kollege Florian Völker hat 2015 ein Interview mit ihm geführt.
Florian Völker, Für mich war Fotografieren immer Politik und politischer Kampf. Ein Interview mit dem Fotografen Paul Glaser in Berlin, in: Visual History, 25.05.2015
https://www.visual-history.de/2015/05/25/fuer-mich-war-fotografieren-immer-politik-und-politischer-kampf/
(3) Seit dem 24. Februar 2022 herrscht Krieg in Europa. Die Fotografin:nen, die in der Lage sind, uns ein Gefühl dafür zu vermitteln, was in den Zonen der Gewalt geschieht, sind in erster Linie Profis – und überaus verletzlich bei ihrer Arbeit direkt im Kriegsgebiet. Eine von ihnen war Anja Niedringhaus, die 2014 in Afghanistan erschossen wurde. Unsere Kollegin von z|o, Annette Schuhmann, zeichnet das Porträt einer Frau nach, die durch ihre Bilder gehandelt hat: immer und überall dort, wo sie fotografierte.
Annette Schuhmann, Ich habe nichts falsch gemacht, ihr macht was falsch dort … Ein Beitrag zum zweiten Todestag von Anja Niedringhaus am 4. April 2014, in: Visual History, 03.04.2016
https://visual-history.de/2016/04/03/ich-habe-nichts-falsch-gemacht-ihr-macht-was-falsch-dort/
(4) Und auch der nächste neu- oder wieder zu entdeckende Beitrag aus dem Archiv beschäftigt sich mit Kriegsfotografie. Moderne Kriege werden nicht nur auf dem Schlachtfeld ausgetragen, sondern auch in der Öffentlichkeit. Viele Staaten haben sich mit der Einrichtung von Nachrichtentruppen ein Instrument geschaffen, die Produktion und Verbreitung von Kriegsinformationen selbst in die Hand zu nehmen. Unsere Abteilungsleiterin Annette Vowinckel hat sich die Geschichte der Foto-Einheiten des US-amerikanischen Signal Corps angesehen.
Annette Vowinckel, Fotografie, Staat und Öffentlichkeit:
Signal Corps-Fotografien im und nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Visual History, 12.01.2015
https://visual-history.de/2015/01/12/fotografie-staat-und-oeffentlichkeit-signal-corps-fotografien-im-und-nach-dem-zweiten-weltkrieg/
(5) Vielleicht plant ja die eine oder der andere eine Urlaubsreise nach Luxemburg. Unbedingt zu empfehlen ist dabei der Besuch von Château Clervaux. Seit 1994 beherbergt es die „Family of Man“: eine Ausstellung, die 1955 im Museum of Modern Art in New York Premiere feierte, in den folgenden sieben Jahren durch die ganze Welt reiste und in 150 Museen gezeigt wurde. Edward Steichen, damaliger Leiter der Fotoabteilung des MoMA und Kurator der Ausstellung sowie gebürtiger Luxemburger, hatte sich für die permanente Installation im Château Clervaux ausgesprochen. Sein Anliegen war es, in der Nachkriegsära und der Zeit des Kalten Kriegs mittels Fotografien „dem Menschen die Menschheit zu erklären“, wie Kerstin te Heesen in ihrem Beitrag beschreibt.
Kerstin te Heesen, Was macht den Menschen aus? „The Family of Man“ im Château Clervaux, Luxemburg, in: Visual History, 18.08.2014
https://visual-history.de/2014/08/18/was-macht-den-menschen-aus/
(6) Barbara Yelin zählt zu den bekanntesten deutschen Comic-Künstler:innen. Der 2014 veröffentlichte Comic-Roman „Irmina“ basiert auf Tagebüchern und Briefen ihrer Großmutter und erzählt deren Geschichte zur Zeit des Nationalsozialismus: eine beeindruckende Graphic Novel über das Mitläufertum im „Dritten Reich“. Der Soziologe Mathis Eckelmann stellt das lesenswerte Buch vor und gibt einen Überblick über wichtige Geschichtscomics und ihre Bedeutung für die Erinnerungskultur.
Mathis Eckelmann, Geschichte in Bildern. Barbara Yelins „Irmina“ und Geschichtsschreibung im Comic, in: Visual History, 16.02.2016
https://www.visual-history.de/2016/02/16/geschichte-in-bildern-barbara-yelins-irmina-und-geschichtsschreibung-im-comic/
(7) Am 1. Januar 1945 erschoss Erich Muhsfeldt, Kommandoführer der Krematorien in Auschwitz, 200 polnische Gefangene im Lager Auschwitz II. 489 Personen klickten den „Gefällt-mir“-Button unter dieser Information an, die das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau am 1. Januar 2011 auf seinem Facebook-Profil veröffentlichte – samt Porträt des Täters. Erinnerungskultur findet zunehmend in Social Media statt, und auch Historiker:innen beginnen damit, die Angebote bei Instagram, Twitter, Facebook und TikTok in den Blick zu nehmen – so wie Ina Lorenz, die sich schon 2015 in ihrem Beitrag mit der visuellen Geschichtsvermittlung im virtuellen Raum beschäftigt hat.
Ina Lorenz, „He even looks evil …“ Das Porträt des SS-Oberscharführers Erich Muhsfeldt auf dem facebook-Profil des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau, in: Visual History, 12.10.2015
https://www.visual-history.de/2015/10/12/he-even-looks-evil/
(8) Im letzten Jahr war die Ausstellung in Versailles zu sehen, nun kann sie noch bis zum 11. September 2022 im Brandenburgischen Landesmuseum für moderne Kunst, Dieselkraftwerk, in Cottbus besucht werden: Willy Ronis – Zuerst das Leben. Ronis war einer der wichtigsten Repräsentanten der französischen Fotografie. Im Jahr 1967 bereiste er die DDR und erarbeitete aus seinen Fotografien eine Ausstellung in Frankreich. „Die Fotografien zeigen nicht nur den fotografischen Ansatz von Willy Ronis und seine Bildsprache, sondern sie erweisen sich bei näherer Betrachtung auch als zeithistorische Quelle und als widerspenstiges Dokument kultureller Aneignung auch jenseits des Kalten Kriegs“ – wie unser ZZF-Kollege Andreas Ludwig in seiner Rezension schreibt.
Andreas Ludwig, Willy Ronis fotografiert in der DDR. Eine Ausstellung rekonstruiert ein Projekt von 1967, in: Visual History, 28.09.2021
https://visual-history.de/2021/09/28/willy-ronis-fotografiert-in-der-ddr/