Materialität der Erinnerung

Fotoalbum der Familie Lindenberger, Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Michael Lindenberger © Seite 22

31 weiße Seiten aus dickem Papier, hochkant nahezu quadratisch, getrennt durch ebenfalls weißes Pergaminpapier, sind eingebunden in mittelbraunen, glatten Kunststoff, welcher einen Ledereinband imitieren soll. Das Album ist relativ klein: 25 cm hoch, aufgeklappt 45 cm breit und knapp 5 cm dick. 99 Schwarz-Weiß-Bilder in unterschiedlichen Formaten sind vorder- und rückseitig fest eingeklebt auf Seiten – ein Teil der Seiten bleibt leer. Die meisten Bilder sind Einzelabzüge, seltener sind zwei Fotos als Doppelabzüge auf einer Pappe. Die Fotos sind eine Mischung aus professionell aufgenommenen Bildern, wie die Logos der Fotografen am Fotorand zeigen, und spontaneren, selbst gemachten Aufnahmen.

Die Qualität der Fotografien und Abzüge lassen verschiedene Entstehungszeiten erkennen, sie können bei der Datierung helfen – geben aber letztlich nur für Fototechnik-Expert:innen Auskunft. Eselsohren, Knicke, Verschmutzungen, Verfärbungen und Risse zeugen von Abnutzung, vielleicht starkem Gebrauch und vermutlich schutzloser Aufbewahrung der Fotos. Im Gegensatz dazu ist das Album makellos und hat somit nicht die gleiche Geschichte wie die Fotos, es ist deutlich jünger.

Fotoalbum der Familie Lindenberger, Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von
Michael Lindenberger © Beschriftung am Buchrücken

Ein kleiner, rechteckiger weißer Aufkleber mit gedruckten hellblauen Schneeflocken betitelt das Album. Die grafische Gestaltung lässt vermuten, dass er eigentlich zum Etikettieren von Gefriergut im Eisfach gedacht war und wahrscheinlich aus einer jüngeren Zeit stammt als die meisten Bilder des Albums. Mit Ausnahme von zwei Datierungen mit Bleistift sind alle Beschriftungen mit schwarzem, hellblauem oder dunkelblauem Kugelschreiber verfasst. Der Handschrift nach zu urteilen sind sie alle von derselben Person vorgenommen worden. Auf einigen Seiten stehen noch Beschriftungen, jedoch sind die dazugehörenden Fotografien absichtlich entfernt worden, wie das im Album noch fest haftende, aber zurückgebliebene Klebeband vermuten lässt.

Diese Beobachtungen zur Materialität geben uns also darüber Auskunft, dass die Fotos aus verschiedenen Zeiten stammen, erst später in das Album geklebt worden sind und vorher anders aufbewahrt wurden. Das Album wurde also vermutlich von einer Person zusammengestellt, geklebt und datiert – wie ein Zeitzeugengespräch klärte, war es der Stifter des Albums Michael Lindenberger selbst.

 

 

Dieser Artikel ist Teil des Themendossiers: „un.sichtbar. Blicke auf das Fotoalbum einer jüdischen Familie 1904-1969“, herausgegeben von Christine Bartlitz, Christoph Kreutzmüller und Theresia Ziehe

Themendossier: un.sichtbar: Blicke auf das Fotoalbum einer jüdischen Familie 1904-1969

 

 
 

 

Zitation


Lisa Querner, Materialität der Erinnerung, in: Visual History, 14.02.2024, https://visual-history.de/2024/02/14/unsichtbar-querner-materialitaet-der-erinnerung/
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-2706
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